psycho&sophie in the osteopathic field with .....?_ leidfaden philosophie und psychologie für osteopathInnen
Friday, 9. August 2002
Thesen zur osteopathischen Philosophie

1. Es ist weit und breit keine osteopathische Philosophie zu finden.
Obwohl alle von Ihr reden besteht diese nicht. Das Maß der gemeinsamen Illusion zeigt sich daran, dass ein Kongress, der sich ihr widmet nicht mal einen Vortrag oder eine Arbeitsgruppe dazu anbietet.

2. Ob die Osteopathie eine Philosophie braucht ist eine offene Frage.
Die Unterstellung dass Philosophie adelt und die Osteopathie damit sich von der Medizin abhebt ist naiv und falsch. Wer von `der´ Philosophie im Singular redet hat einiges nicht mitbekommen, - auch nicht die schmutzigen Finger der Philosophie.

3. Es gibt keine OsteopathInnen, die sich mit Philosophie beschäftigen.
Das ist nicht unbedingt schlimm, wäre aber eine Voraussetzung um darüber zu reden. Nur weil A.T. Still Philosophie auf einen Buchdeckel schreibt ist noch keine drin. Seine Postulate passen besser in die Theologie, was auch nicht schlimm ist.

4. OsteopathInnen müssten anfangen sich mit Philosophie zu beschäftigen.
Die Philosophie muss gegen ihre stürmischen VerehrerInnen in Schutz genommen werden, da sie nicht so gut wie ihr Ruf in osteopathischen Kreisen ist. Die Beschäftigung mit Ihr würde eine realistischer Diskussion erlauben. Vielleicht sind wir am Ende froh keine zu brauchen und kehren glücklich zur ostepathischen Erfahrung zurück.

5. OsteopathInnen sollten aufhören von Philosophie zu reden.
Aus Respekt vor der eigenen Unkenntnis sollte besser geschwiegen werden. Aus Einsicht in die Vorherrschaft der Wunschvorstellungen sollte eine kreative Pause eingelegt werden. Ein Vorschlag dazu: Erst die Arbeit am Begriff, dann die Frage warum und wozu Philosophie.

6. Was als osteopathische Philosophie firmiert sollte sich einer radikalen Refelxion stellen - oder schweigen.
Es hilft nicht die Prinzipien der Osteopathie wiederzukäuen und diese Bewegung als Philosophie zu verkaufen. Es bedarf einer kritischen Diskussion dieser Prizipien; der Holismus bietet sich hier besonders an.

7. Wer all diese Fragen für nicht wichtig hält, soll das weiter so halten und in Frieden leben.
Gepriesen die zufrieden sind mit ihrer osteopathischen Arbeit, die Abends sich mit was ganz anderem beschäftigen können. Solange die ostepathische Philosophie von niemandem erstlich etwas fordert, können wir sie getrost lassen.

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Wednesday, 29. May 2002
1. Kapitel: Geburt der Osteopathie aus der Philosophie

1.1 Osteopathie als philosophische Lebenshaltung
1.2. Historische Geburt und Wiedergeburt
1.3 Ursprung und Authorität
1.4 Aktualisierter Ursprung, Wiederholungszwang und Entwicklung

„Philosophie..ist keineswwegs, obschon sie immer wieder so dargestellt wird, nur eine sich meditierend über die Wirklichkeit erhebende Heilslehre, sondern konstituiert sich von ihren Anfängen an als Technologie: will mit ihrem abstrakt Allgemeinen auf eine über die Realität manipulativ verfügende Herschafft hinaus, die sich alle spezifischen technai unterwirft und mächtig ist gerade dadurch, dass sie sich auf sie als konkrete nicht einläßt.“ (Klaus Heinrich, Dahlemer Vorlesungen Bd 7, S. 118)

Wer heute OsteopathInnen über Osteopathie sprechen hört könnte den Eindruck bekommen wir haben es mit der letzten Bastion angewandter Philosophie in der Medizin zu tun. Die besondere Gültigkeit der Osteopathie ergibt sich, so der Konsens, aus ihrem philosophischen Ansatz; umgekehrt haben sich manche gar zu der Behauptung verstiegen, daß Mangels einer Philosophie die moderne Medizin nicht vollständig sein kann.
Diese Feststellung ist zwar sachlich falsch, aber trifft das Bedürfniss des Publikums. Sie ist das erste hier verhandelte Symptom eines Leidens, das ich als `psychosophischen Elementarismus´ beschreiben werde; die Passion für Philosophie und Psychologie mit der gleichzeitigen Überzeugung, daß in ihnen gleichsam die Elementarteilchen der Osteopathie aufgehoben sin
Bevor die Osteopathie entstand begann das Studium der Medizin mit einem Tentamen philosophicum: philosophische Grundlagen, Methodologie und Logik wurden studiert. Später, 1861 wurde es vom Tentamen physicum ersetzt. Möglich dass uns die Philosophie der modernen Medizin nicht in den Kram paßt, - aber dass sie keine hat? Und seit wann hat die Osteopathie eine?
Dass der Osteopathie wie jeder Wissenschaft ein (auch philosophische) Selbst-Reflexion gut tut ist unbestritten. Insbesondere das Lieblingsthema der Osteopathie, ihr Holismus (siehe Kapitel 2), wäre gut durchzuarbeiten mit in philosophischer Selbst-Reflexion geschulten Mitteln. Die Philosophiegeschichte gäbe genügend Anlaß und zugleich Begriffe sich bezüglich der Ganzheit ernsthafte Fragen zu stellen. Insbesondere in der Philosophie des 19. Jahrhunderts hat sich die Frage nach dem gesellschaftlich Allgemeinen zugespitzt. Wie wird diese Allgemeinheit (Ganzheit) hergestellt, - ist es das abstrakt Allgemeine eines transzendentales Subjektes des Idealismus, das von allen spezifischen Erfahrungen gereinigt ist, - oder vielmehr eine konkrete Allgemeinheit (Marx), die ihre Entstehung erkenntlich macht und in die alle - auch unterdrückerische Erfahrungen eingehen, was sie zu einem realistischeren Ausdruck der realen Prozesse prädestiniert, aber zugleich weniger geeignet für eine beschönigende Rethorik macht, da sie konfliktreich und voller ungelöster Erfahrungen.
In dieser Diskussion ging es zudem noch um die Frage von Theorie und (gesellschaftlicher) Praxis bzw Erfahrung. Für eine klinisch orientierte Wissenschaft wäre das eine äußerst interesante philosophische Diskussion: wie Begriffe und Theorie bilden die Erfahrung ermöglichen, neue Erfahrungen aufnehmen und selbt nicht zur Erstarrung beitragen. Der sprachliche Stil und die immer wieder durchgearbeiteten, niemals in letzter Abgrenzung gebrauchten Begriffe Freuds, die zugleich räumlich als auch kategorisch zu lesen sind, waren eine erste Antwort. Auch hieraus könnten wir philosophisch lernen für eine erfahrungsorientierte Theorie, eine Klinik die sich theoretsich reflektiert. Denn was sollten wir von einer Philosophie sonst wollen?

Die hier versammelten Texte werden sich für solche Fragen nur am Rande interesieren. Es gibt kompetente Äußerungen und kontroverse Diskussionen dazu en masse. Darauf hinzuweisen muss genügen. Das Ziel der Texte ist den Spieß umzudrehen und die Frage zu stellen: woher diese Passion für Philosophie und Psychologie in den osteopathischen Seminaren? Warum diese Obsession immer über etwas zu sprechen das jenseits der eigenen handwerklichen Fähigkeiten liegt. Haben wir es mit einer Horde von Zwangsumgeschulten aus den philosophischen Seminaren zu tun, oder erweckt die Osteopathie erst das philosophisch-psychologische Interesse?

Der angschlagene Ton der Philosophie-Fraktion unterstellt dass es `eine´ Philosopie gibt. Schnell schwingt dann auch ein universeller (Erlösungs-) Anspruch und eine Tiefendimension mit. Osteopathie ist geboren aus einer philosophischen Haltung oder einem philosophischen Lebensstil. Oder wäre gern geboren aus....

Woher diese Wunsch kommt bleibt vorerst rätselhaft. Auch dass Philosophie mit edler Abstammung gleichgesetzt wird ist wenig verständlich. So absurd die Unterstellung ist, moderne Medizin hätte keine philosophische Grundlage, sie macht nur Sinn wenn schon entschieden ist was Philosophie ist, - und daß sie gut sei und ein Grundlage liefern soll für therapeutisches Handeln Das ist eine Reduktion der philosphischen Tradition auf Rechtfertigungslehre (Dogmatik). Schon der Verweis darauf, dass auch Reflexion und Kritik dazugehören, genügt die Enge dieser Annahme zu demonstrieren.
Gibt es ein historisches Korrelat für diesen Bedarf an philosophischer Begründung und Stilisierung der Osteopathie? Und der Vorstellung dass Osteopathie ein Leben in Philosophie sei? Ich kann keinen historischen Ort in der Geschichte der Osteopathie finden, außer wir erkennen den christlichen Humanismus des Dr. Still als philosophisch begründeten Lebenstil. Den aber hat er seit der Renaissance mit vielen gemein; zugleich bestehen USA-spezifische Ausprägungen, die nicht unwichtig sind.

Mangels einsichtiger Gründe für die osteopathsiche Obsession und aufgrund der im weiteren dargestellten Analysen spreche ich tentativ pathologiserend vom `psychosophischen Elementarismus´ als einer Krankheit, - einer Passion, die für die Osteopathie fatal enden kann.

1.1 Osteopathie als philosophische Lebenshaltung

Das Philosophie nicht nur eine praktizierte Disziplin sondern auch eine Lebenshaltung sei, ist an sich nichts ungewöhnliches. Schon die Stoiker waren Leute die den Mut hatten sich mit den Drohungen und Freuden des Lebens zu beschäftigten, ohne bei religiös-kultischen Institutionen Zuflucht zu nehmen. Für sie war Philosophie als Tätigkeit die Antwort auf die Unabwägbarkeiten der Existenz. Ihr Held, Sokrates, war aber durch außerphilosphische Praxis erleuchtet, da er in die eleusische Mysterien eingeweiht war. Ihm war eine außer-philosophische Quelle der Wirklichkeitserfahrung zugänglich, wie allen athener BürgerInnen.

Dieser Sokrates wäre gerne aus der Philosophie geboren worden, jedenfalls hat er versucht den Anteil der Mutter an der Zeugung als vernachlässigbar zu deuten und die männliche Selbstschöpfung aus dem Samen als die ideale Situation hinzustellen. Diesen Sokrates, in der Darstellung durch Platon, müsste wir studieren um zu verstehen, warum es so erstrebenswert wäre aus der Philosophie geboren zu werden. Wollen sich OsteopathInnen als die neuen Stoiker generieren, einen neuen Kult der stoisch-medizinischen Philosophie gründen? Soweit geht der Anspruch wahrscheinlich nicht; aber das Bedürfnis eine solche philosophische Kultgemeinde als feste Basis hinter sich zu wissen ist groß. Dass, wenn es konkret wird, meist auf östlich-meditative Weisheit referiert wird, widerspricht dem nicht. Außer dass die platonische Erlösungslehre hat vergleichbare Charakterzüge aufweist, läuft der Zugang zu einem philosophischen Lebenstil und damit zur Selbstgeburt/erzeugung aus der Philosphie heute für die meisten nur durch die östliche Philosophie, oder sagen wir besser über die Faszination für östliche Philosophe, hindurch. Die dazugehörigen Kulte und religösen Praktiken werden gerne ausgeblendet. So freundlich und witzig der Dalai Lama sein kann, wenn er seinem grummelnde Orakelsprecher folgt und daraufhin einen konkurierenden Unter-Kult verbietet, dann stößt dies seinen westliche Anhängern als heidnisch auf. Als könnte mensch das eine ohne das andere haben. Philosophie wird gern gesehen als die saubere, gut rationalisierte und von aller kultischen Gewalt befreite Version spiritueller Lebensweisheit: antiseptisch, ambivalenzfrei und konfliktarm. Zum Glück ist sie das nicht immer, und je mehr wir uns damit beschäftigen je weniger lassen sich die Kanten und Widersprüche glätten

1.2. Historische Geburt und Wiedergeburt

Die historische Entstehung der Osteopathie ist schon erzählt, da ihr Gründer A. T. Still auf eine recht erfolgreiche institutuionelle Verwirklichung seiner medizinischen Idee zurückblicken konnte.
Wenig wird über die philosophischen Geburtshelfer dieser historische Geburt berichtet; Sokrates hat seine Kunst des Fragens als Maieutik gesehen, als Hilfe bei der geburt von einsicht. Er schien aber nicht anwesend gewesen zu sein. Der Mann Still war Christ, und das ist all seinen schriftlichen Äußerungen anzumerken. Wie anderst hätte er seine Einsichten verstehen sollen, denn als Wiedergeburt eines Wissens das in göttlicher Hand ausgelegt war. Er läßt nur Gott und Erfahrung (expierience) als Quellen des Wissen gelten. Radikalstes anti-antiauthoritäres US-Christentum: mit Gott gegen die weltliche Bevormundung durch Tradition und Authorität (=Europa). „ As it is necessary to throw off oppressive goverments, it becomes necessary to throw off other useless practices and custums“ ( PMO, 262)
In der historischen Gründungserzählung der Osteopathie kommen wir einem Ursprung nahe der religiös antiauthoritär ist, nicht philo- oder psychologisch affirmativ. Das liegt an der historischen Gründergestalt und der Situation in der USA. Mit Gott und der alltäglichen Erfahrung, dieser Slogan wäre europäischen Philosphen jener Zeit recht schräg in den Ohren geklungen.

So erzählt Still in der berühmten Geschichte aus seiner Jugend (Auto, S. 32) vom heilenden Schlaf in der Schlinge als einem Gründungserlebnis: first lesson in osteopathy. Diese erste Lektion wurde zwanzig Jahre später durch den Einbruch, den Keil des Verstandes (wedge of reason) als osteopathisches Prinzip forrmuliert: Harmony to the flow of blood. Wiederum eine recht säkulare Erzählung einer Entdeckung: der Zufall der am Anfang Pate stand, dass er mit Kopf- und Magenschmerz eine bequeme Position finden wollte, und die ausgespannte Leine den Kopf trug, er in den Schlaf sank; hier wäre die Möglichkeit gewesen ein Traumerlebnis einzufügen - hat er nicht getan. Dann die gelungenen Wiederholungen der Therapie und die Einsicht befördert durch einen befreundeten Arzt Jahre später. Sowenig wie es den enthüllenden Traum gab, gab es die Offenbarung der osteopathischen Prinzipien. Es waren lange Jahre der Arbeit bis sich der göttliche Plan der Lebensmaschine offenbaren konnte. Was uns davon überliefert wird ist vom glücklichen Ende her gesehen; die tiefen Zweifel und Depressionen in dieser Zeit sind nur zu vermuten. Der Tod vieler geliebter menschen läßt etwas ahnen davon.

Daß Religion und Philosophie für Still das selbe waren läßt sich leicht erkennen, und spricht einmal mehr für den radikalen Christen. Ich habe nichts in seinen Schriften gefunden das darauf hinweist daß ihn zeitgenössische Philosophie interesiert hätte. Sein Buch `The Philosophy and Mechanical Principles of Osteopathy´ enthält nur rudimentär philosophische zu nennende Diskussion. Was es enthält ist eine ver-weltlichte Trinitätslehre in der die Dreieinigkeit des Menschen im Vergleich zur zeitgenössischen theologische Reflexion, kaum ausgeführt wird: „man ist triune... a material..a spiritual ..and a being of mind ( PMO, S16). Das spirituelle Wesen (spiritual being) bleibt in der Dreieinigkeit unausgeführt. Das liegt auch daran, daß in dem eigentlich `philosophischen´ Kapitel des Buches unter der Überschrift `Biogen´ eine dualistische Version der Fleischwerdung des Geistes entworfen wird, womit sowieso eine Dimension der Dreieinigkeit verloren gegangen ist: „ all material bodies have life terrrestrial and all space has life, ethereal or spiritual life. The two, when united, form man. Life terrestrial has motion and power; the celestial bodies have knowledge or wisdom. Biogen is the lives of the two in united action“ (PMO, S251). Der poetische Rhythmus dieser Ausführung mag unwiderstehlich sein, die Basis seiner Konstruktionen ist eine dualistische Theologie:
Materie - Raum,
irdisch - ätherisch/spirituell,
Tätiges Leben - Weisheit/Gnade
Mutter- Vater
Substanz - Ernährung/Entwicklung
Substanz des Körpers - Arterien/Blut-flüsssigkeiten

Wer zu Beginn des 21. Jahrhunderts solch einem Dualismus in die Arme läuft muß gute Gründe haben, - oder einer weiterhin lebendigen christlichen Tradition (un)reflektiert folgen. Lassen wir mal zweiteres als unwahrscheinlich bei Seite, so bleibt der irritierend Befund daß die Schriften Stills eine Renaissance erleben, die schwer zu verstehen ist. Obwohl hier nicht allzu oft soziologisch argumentiert werden soll, ist kaum zu übersehen, daß die Rückbesinnung auf die Schriften von Still und die unverständige Wertschätzung von Philosophie simultane Erscheinungen sind. Das mag für eine im Entstehen begriffene osteopathische Gemeinschaft (wie in der BRD) naheliegend sein: Die Gründung der Osteopathie in Deutschland war ja ein typischer Akt der imperialistischen Auslagerung von Konflikten. Was in Belgien und Frankreich ausgereizt war, das konnte in der Logik der belgisch-französischen Akteure auf ausländischem Boden neu begonnen werden. Als späte Rache für die Zerstörung Europas durch das faschistische Deutschland, und die Verweigerung irgend etwas nicht völkisch-versautes annehmen zu wollen, kam die Osteopathie nicht nur 50 Jahre später in die BRD, sondern sie kam als auch Mogelpackung mit begisch-französischen Marotten. Kein Wunder, daß sich jene, die nicht von den importierten Konflikten und ihren Akteuren sich die Wiedergeburtserlebnisse der Osteopathie vermiesen lassen wollten, auf ältere unversaute Heroen zurückgriffen. So ist es (soziologisch) verständlich, daß der Gründer Still und mit ihm andere US-Osteopathen eine erstaunliche Wiederbelebung erfuhren. Sie stehen für das ursprünglichere, nicht zerstrittene in der Tradition; ihnen Gefolgschaft zu schwören ist weniger bitter, für manche gar lustvoll.

1.3 Ursprung und Autorität
Bei jeder Wiedergeburt stellt sich gewiß die Frage ob die familiären Banden der ursprünglichen Familie noch weiterhin gelten. Sind neue Gefolgschaften, Allianzen und Verbindlichkeiten entstanden? Was sind die neuen Regeln der Verbundenheit, die Notwendigkeiten der Solidarität? Diese Fragen sind deswegen interesant weil sie der osteopathischen Heiligenlegendenbildung entgegenstehen. Es ist keineswegs klar, daß die Anfänge der Osteopathie für uns heute praktizierende mehr als nur zur Traditionspflege taugen. Der schutzsuchende Rückbezug auf die Ursprünge und Gründer der Osteopathie zeigt das Gegenteil dessen was es vorgibt: die Herren der ersten, die Damen und Herren der zweiten Stunde haben nicht die ungebrochen Autorität, sonst könnten wir uns mit ihnen beschäftigen, anstatt zu verwerten für unsere Anliegen. Es zeigt die Schwäche der Tradition, daß so wenig kontrovers diskutiert, aber bereitwillig und unterwürfig aus ihrzitiert wird.

Wie soll mensch dem beikommen, dem großen Bruch zwischen anti-authoritärer Gründung und schutzsuchender Rückbesinnung? Um nicht in ein psychologisch oder soziologisch motiviertes Verständniss zu verfallen, habe ich als Kontrapunkt und Anstachelung zur Konfrontation eingeführt was Still schon fern aber auch nahe lag, uns aber fremd ist: die 10 Gebote, die der Gott der Israeliten Moses offenbarte. Sie stellen eine Art schriftlicher Verfassung einer sich gründenden Gesellschaft dar. Sie reglen die größten Konfliktlinien innerhalb einer patriarchalen Stammesgesellschaft und das Verhältnis derselben zu ihrem göttlichen Grund. Sollten wir nicht in unserer ethischen Intelligenz weit darüber hinaus sein?; deswegen lohnt die Konfrontation.

Die Gebote werden am Ende eines langen Weges, der mit dem Aufbruch aus der Sklaverei begann, offenbart. Das Ziel des Aufbruchs war Freiheit, und für eine agrarische Kultur wicht, Land. Das 1. und 5. Gebot drücken die Grundbindungen der Gesellschaft in Gründung aus:
Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland , aus der Knechtschaft geführt habe, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebst im lande das der Herr dein gott, dir geben wird.

Die Regeln der Solidarität sind festgelegt: Wer uns befreit hat, dem müssen wir verbunden bleiben; daneben gelten keine Götter. Jene, die eine Bestandsgarantie für unsere Grundstruktur bieten, müssen wir ehren. Aus dem wir kommen, unsere Herkunft und zugleich die Basis unserer Freiheit, - der führende und mutmachende Gott, und jene aus denen wir entstehen, die zeugenden und ernährenden Eltern - diese Mächte sollen unwidersprochen unsere Gegenwart bestimmen. So war die Achtung des Ursprung immer auch ganz materiell gedacht, ein nährender Fluss dem wir verbunden bleiben müssen unter der Drohung unsere Existenz nicht zu gefährden. Das Anstöpseln an diesen Ursprung der Osteopathie ist verständlich als Sicherung der eigenen Quellen einer entstehenden Gemeinschaft, erklärter Rückbezug auf eine einende Vergangenheit.

Hier hört aber das soziologische Verständniss auf. Alle große Philosophie ist Kritik der Ursprungsbindung. Sie läßt sich nicht einreden, daß der Rekurs auf Gründungsväter und - mütter schon ein Argument in einer offenen Diskussion darstellt. Freiheit und Offeneit sind ebenso wie Gerechtigkeit und Autonomie Begriffe die nur in einer Welt Sinn machen, die nicht absolut an ihr Gründungserlebnis gefesselt bleibt. Autorität rechtfertig sich nicht aus der Nähe zum Ursprung oder zur Gründergestalt. Das mag für die historische Folklore der Osteopathie derzeit schwer zu akzeptieren sein, ist aber die anti-authoritäre Basis jeder wissenschaftlichen Kreativität.

Dass das Bedürfniss nach kreativer Auseinandersetzung geringer ist als das Bedürfniss nach Autorität, ist der beklagenswerter Umstand der (deutschen) Sozialisation: das `wage deinen eigenen Verstand zu gebrauchen´, den Slogan den Kant noch für die Aufklärung vorgab, dieser Mut ist im osteopathischen Feld rar gesät.
Obwohl OsteopathInnen, unter dem Druck der öffentlichen Anerkennung, sich wissenschaftlich gebärden wollen und müssen, - leider sowohl wollen als auch meinen zu müssen - , fallen diese Versuche gemessen an den Selbstverständlichkeiten des wissenschaftlichen Betriebs so umständlich und gesteltzt aus, daß die übereifrigen AnfängerInnen gleich erkannt werden. Da wird mitten im wissenschaftlichen Text ungehemmt mit akademischen Titeln zitiert. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich auch private Mitteilung von Authoritäten des Faches: Hr/Fr ...Dr/ DO.....hat mir damals am Kamin folgende Einsicht weitergegeben. Briefliche Mitteilungen werden angeführt als wäre ihr wissenschaftlicher Gehalt vorrangig. Sollen so die höheren Weihen durch die osteopathischen Generationen durchgereicht werden?

In der Verbeugung vor den Großen des Faches wird der nötige Respekt vor ihrer Arbeit ausgedrückt, - es spricht nichts dagegen den osteopathischen Tag mit einer Ehrbezeugung vor dem Pantheon der Osteopathie zu beginnen: Hl. Still&Sutherland&Wales&Frymann&Becker schütze uns vor falschen Diagnosen, oder ähnlich. Vielleicht sollten die noch lebenden aus der Kultifizierung ausgenommen werden. Wer aber die nicht-esoterische Öffentlichkeit außerhalb der Gemeinde versucht zu beeindrucken, wird mit solchen Bezeugungen zwar Eindruck machen, - das ist dann auch der Eindruck der entsteht - aber Argumente sind das deswegen noch nicht.

1.4 Aktualisierter Ursprung, Wiederholungszwang und Entwicklung
Bis in die Beschreibung osteopathischer Relationen und Dysfunktionen läßt sich diese Sucht, einem philosophischen Ursprung nahe zu kommen, verfolgen. Hier hätte die philosophische Arbeit, wenn sie schon gesucht wird, ein weites Feld.
So erfreut die wissenschaftliche Suche nach dem Ursprung, die Embryologie, sich einer ungeheuren Beliebtheit, obwohl sie eine denkbar schwierige Materie ist. War es nicht Cicero der sagte: die Ursprünge sind klein. Die embryonalen Ursprünge der menschlichen Gewebsentwicklung sind mikroskopisch klein. Diese Anziehung zum embryonalen Ausgang ist eingebettet in die untrügliche Überzeugung, daß alles was embryonal verbunden war auch später funktionell aneinandergekettet bleibt. Was für unbelastete Geister ein auf die Spitze getriebener Bindungs-Wahn ist, wird in osteopathischen Keisen ohne Widerspruch akzeptiert. Diese Wahn hat eine wohlklingende Tarnmelodie, das Lied von der Ganzheitlichkeit der Osteopathie.
Dass embryonal vieles miteinander verbunden ist, und wenn wir den Weg zum Ursprung ganz zurückgehen, letztendlich alles ein Ganzes war, nur für Sekunden um dann wieder geteilt zu werden, das ist so banal wie wahr. Läßt sich darauf ein Ganzheitlichkeitsanspruch aufbauen?
Wenig sicher gegen Größenwahn will die osteopathische Ursprungs-Sehnsucht nicht nur ganz nah ran an den Moment der Entstehung, sie will hinter ihn zurück, gewissermassen hinter/vor den Urknall. Genetsich gesprochen ist ja der embryonale Ursprung schon gespalten vor er einer war. Entstanden aus zwei, sind die entstehenden Gewebe fundamental-onto-genetisch dual angelegt, - oder nicht? Also müßte die osteopathische Ursprungsbehandlung tatsächlich bis zu den Eltern zurückreichen oder für kommende Generationen beim Reagenzglas anfangen: thinking fingers and the test tube baby, wäre ein denkbarer Diplomarbeitstitel mit visionärer Fragestellung.
Noch gehen nur wenige diesen Weg konsequent bis ans physische Ende. Die Familienaufstelllung, eine geschätze Parallelbehandlung unter OsteopathInnen, arbeitet hier schon in die gewünschte Richtung. Sie erlaubt `die Mutter, den Vater´ zu aktualisieren. Allerdings ohne sich weiter zu fragen, was hier aktualisiert wird. Alle Urspruchsgebrochenheit, Maskierung und Verstellung, alle Fähigkeiten unserer Psyche Symptome, Kompromisse und nicht nur reine Wahrheit zu produzieren, wird sicherheitshalber erst gar nicht thematisiert. Der Effekt der Aktualisierung scheint schon Argument für die Ursprungstreue.
Aktualisierung der Ursprünge ist eine ebenso zwiespältige Sache wie die Ursprünge selbst zwiespältig sind. Ob wir es bei der osteopathischen Obsession des psychosophischen Elementarismus mit einer zwanghaften Rückkehr zu unseren Ursprüngen zu tun haben, oder mit der Bearbeitung von Konflikten, wär ein Frage.
Zwanghaftes wiederholen von Konflikten ist nicht deren Bearbeitung. Daß Ursprünge Zwang ausüben, wußte die Philosophie in ihrem Abgrenzungsversuch von Kult und Religion schon früh. Es gilt für die Wiedergeburt der Osteopathie erste und zweiter Stunde ebenso: die Wiederholung der osteopathischen Urwahrheiten ist in erster Instanz eine Wiederholungstat, und als solche zu ahnden. Daß Still offenbar von der antiken Säftelehre und modernisierten Humoralpathologie beeinflußt war sollte nicht nur konstatiert werden (minimale Anforderung die eigene Vorgeschichte zu kennen), sondern einer sowohl historischen als systematischen Kritik unterzogen werden. Dass dieser Einfluß stark war ist an allen Ecken und Enden seiner Krankheitenlehre erkennbar; anstatt uns hier in guter antiker Tradition zu wähnen, oder über wohltuende Ähnlichkeit der Osteopathie zu östlichen Heilslehren (Ayuveda, TMC) sich genügsam zurückzulehnen, - zuerst ist die Anstrengung gefragt das eigene Haus kennenzulernen. Die Implikationen der Humoralpathologie sind bis in alle Details durchzuspielen und wenn gewünscht in eine Osteopathie des 21. Jahrhunderts einzutragen. Dazu gehört sich mit den Lehren des Dr. Still auseinanderzusetzten, nicht nur seine historische Gestalt wiederauferstehen zu lassen und ein paar Zitate zur Belebung der Traditionsabteilung anzuführen.
Daß Wiederholungszwang einer persönlichen als auch institutionellen Entwicklung diamentral entgegensteht hat die Psychoanalyse in aller wünschenswerten Deutlickeit gezeigt. Was unter anderm daraus folgte war der Einspruch gegen Substanzialisierung der Ursprünge in der Therapie; und als Ausdruck dessen ein angemessenes Mißtrauen bei Psychologisierungen, das jeder selbstkritischen Psychotherapie gut ansteht. Und die Einsicht dass die psychische Realität einer anderen Person nicht einfach so und unmittelbar zu erfahren ist aus der analytischen Arbeit hervorgegangen. Aber da in der psychosophischen Passion die Unterschiede (sprachlich und inhaltlich) zwischen psychisch, psychologisch, psyiatrisch und psychologisierend in voller Abwesenheit einer bewußten Vorstellung dieser Differenzen verwischt werden, ist hier fast schon Hopfen und Malz verloren. Wer die Selbstpsychologiserung einer Person/eines Patienten für dessen psychischer Struktur hält, müßte auch Kondome anziehen wenn er /sie ein Buch über Aids liest. Dass dieses scheinbar absurde Beispiel einer Re-substanzialisierung rationalisierender Selbstschutz-Unternehmungen dem tatsächlichen Stand der osteopathischen Reflexion entspricht wird hier argumentiert...dieser letzte Satz war tatsächlich zu viel des Guten, aber er könnte trotz seine momentanen Unverständlichkeit leider wahr sein und im Lauf der späteren Kapitel sich in seinen Einzelteilen erläutern. Vorerst eine vereinfachte Gleichung: Psychologie und Psychologisierung ist ein Versuch sich durch rationalisierende Erklärungen Psyche vom Leib zu halten. Wer beim leisesten Anzeichen psychischen Materials schon den Schutzmantel der Psychologie zückt, und am Ende Psychologiserung für Psyche hält, hält den Schutzmantel der sie abwehren will für das Ding selbst. Die rationalisierende Abwehr wird zur Substanz selbst. Die fehlende sprachliche Unterscheidung trifft sich mit der Angleichung der Bedeutungsunterschiede. Die darin ebenso zm Ausdruck kommende Vermischung von Realität und theoretischer Reflexion hat sich schon in andere Bereich geschlichen: immer öfter wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen Neurologie/neurologisch und Neuron/neuronal. Dass Methode und Methodologie nicht das gleich ist wird ebenso übergangen.
Das zeigt nur wie wenig die vermeintliche Philosophie der Osteopathie in den wissenschafttheoretischen - das ist auch Philosophie - Überlegungen des letzten Jahrhunderts angekommen ist. Banalste Unterscheidungen fehlen zur Reflexion; wer würde behaupten daß Natur und Naturwissenschaft das selbe sind. Als Menschen gehören wir zur Natur, und betreiben gleichzeitig Naturwissenschaft, oder in einer phänomenologischen Sprache: wir haben die Teilnehmer und Beobachterperspektive, zumindest was unsere eigene Natur Und Leibhaftigkeit anbelangt.
Und obwohl uns Gegenstände ohne ein Theorie darüber nicht erfahrbar wären, im Falle der osteopathischen Obsession ist die Gleichsetzung von erfahrenem Gegenstand und eigener Erfahrungstheorie (wenn es die wenigstens gäbe) symptomatisch zudeuten. Das heißt nicht nur als Ignoranz gegenüber den vielen interesanten Versuchen sich hier eine einblick zu verschaffen, sondern als Ausdruck einer Krankheit (Symptom).
Erfahrungsnähe und Ursprungsnähe, - das hätten wir gern gemeinsam und ohne Streit, simultan und ohne Ambivalenz.
Alle Zeichen stehen hier auf Widerspruch: dass beides identisch ist, diese Annahme, eigentlich eine Sehnsucht, müßte eine philosophische Reflexion aufarbeiten, nicht naiv verfestigen. Das Symptom befragt: erstaunt es dass die psychosophische Passion mit Zielgenauigkeit sich Philosophie sucht, in der solche Sehnsucht tiefergelegt, fundamentalisiert wird? Auch diese Fundamentalisierung, später werde ich das auch Elementarisierung nennen, ist Philosophie, - nur ist sie geeignet als Reflexionshilfe für eine empirische Wissenschaft wie die Osteopathie? Was wenn Philosophie sich systematisch gegen den Fluß und die Möglichkeit der Erfahrung ausspricht und verstockt sich gegen alle Reflexion der fundamentalisierten Annahmen legt?
Philosophie der Osteopathie? Ich werde auf das Fragezeichen bestehen, jeden affirmativen Gebrauch von Philosophie im Zusammenhang mit Osteopathie ablehen. Erst muß nicht nur philosophische Arbeit an den (philosophischen?) Grundannahmen der Osteopathie geleistet werden, anbietet sich die Ganzheitlichkeit.

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Vorwort der HerausgeberInnen

Der Leidfaden Käthe Oppenauers durch den psychososphische Elementarismus wird hier Stück für Stück, Faden für Faden elektronisch zugänglich gemacht.

Warum war ein Leidfaden nötig? Die Notwendigkeit des Textes ergibt sich einerseits aus dem unerträglichen Zustands, der Not, die gewendet werden muß; andererseits aus dem völligen Fehlen einer fundierten klinischen Beschreibung des Krankheitsbildes.

Durch verschieden Station wird das Leiden beschrieben und die Heilungs-Hoffnung ausgelotet. Das Motto: durch das Leiden lernen. Welches Leiden? - gemeint ist die untrübliche Anziehungskraft die OsteopathInnen gegenüber Bundgi-jumping-Psychologie und philosophischen Kurzschlüßen ins Nirvana empfinden; das ist ein Leid, eine Passion.

Keine fadenscheinigen Entschuldigungen werden gesucht. Die Blöße wird gegeben. Dies war notwendig und unvermeidlich geworden, da die Krankheit sich ausbreitet. Die Lektüre des Leidfadens ist peinlich, wie jede Beschreibung einer fortschreitenden Krankheit schmerzhaft zu lesen.

Der Leidfaden ist ein unersetzliches und zwingendes Instrument, Stachel für alle, die finden, daß die Dinge noch einfacher liegen. Diese Haltung auszudrücken, inhaltlich zu fundieren, tiefer zu legen und dabei nicht zu verbleiben, - das ist der Verdienst dieses Textes. Er ist der Manta, den OsteopathInnen unbedingt mal gefahren haben müssen. Wir können nur hoffen. daß nach der Spritztour der Spuk vorbei ist und weniger zwanghafte Beschäftigungen auf uns warten.

Droht nicht ein Leitfaden, eine Checkliste, in der kurz und knackig die wichtigsten philosophischen Schlaglöcher und psychologischen Wasserdichheiten vorverdaut präsentiert werden? Diese Checkliste gibt es noch nicht und vielleicht kann der Oppenauersche Text zumindest verhindern, daß sie jemals erscheint. In einer Situation, in der jeder Barbar zum Leit-Kultur-Hammel werden kann, ist das Ausbleiben weiterer zupackender Leitplanken geradezu ein Hoffungsschimmer.

Ob der Text diesen präventiven oder einen anderen Zweck erreichen soll oder besser verworfen sei, darüber hat die Verfasserin oft mit uns diskutiert. Kann ihr Text differentialdiagnostisches Hilfsmittel oder gar Therapie sein?
Ist es nicht der allgemeine Zustand des Patienten, - über die korrekte medizinische Diagnose hinaus -, der bei der Entscheidung über eine adequate Therapie bestimmend sein sollte? Und der Allgeimzustand ist ein Jammertal.

Die Gefahr, daß der Leidfaden einmal ins osteopathische Alltagsbewußtsein Eingang findet ist groß. Das ist das letzte was sich Käthe Oppenauer gewünscht hätte; sie wollte Diskussionen eröffnen, keine Wiederholungstäter legitimieren.

Was der Oppenauersche Text bietet ist minimaler Standard: Argumentation, Klarheit der Gedanken anstatt plakativem Jargon, voraussetzungsloses und reflexives sich mit den eigenen Begriffen und Konzepten beschäftigen. An sich keine große Kunst, gerade mal das Basiswerkzeug der wissenschaftlichen Selbstaufklärung seit der Renaissance; aber angesichts der in osteopathischen Kreisen üblichen Reduktion von Philosophie auf eine Spielart der meditativen, meist indisch-rationalistischen, Spekulation mit einem Schuß Buddhismus des rechten Weges sind hier einige Aufwärmübungen nötig.

Ob sie gewünscht sind wird sich zeigen? Ist das Wünschen notfalls zu lernen? Es gibt schleißlich was zu verlieren: unbekümmertes Flanieren im Psychosophischen. Unberührt von der `Arbeit des Begriffs´, unbelastet von dialektischer Argumentation läßt sich mit Leichtigkeit eines drauf legen. Der Weg wird gehalten, - aber was machen die Füße beim Laufen?

Das Scheinen der Weisheit aus dem wohlklingenden Wort gibt wohlfeile Legitimation, sich über die `Liebe zur Weisheit´, wörtlich für `Philo-sophie´, hinwegzusetzen. Wir alle lieben Sophie. Schön, aber wer ist Sie und will Sie auch geliebt werden von uns? Besungen wurde die Weisheit schon vielstimmig. Nicht alle Badewannensoprane/tenöre haben die Souveränität einer Ella Fitzgerald im Anstimmen des Lobgesanges. Käthe Oppenauer versucht daher die Philosophie vor ihren überschwenglichen BewunderInnen in Schutz zu nehmen. Nicht weil sie besser, aber weil sie zwielichter ist, als von den Osteogroupies angenommen.

Das hat auch unsere Wahl des Titels bestimmt: Lernen aus dem Leiden ist das Program der (griechischen) Tragödien; dieses Program hat die Philosophie in ihren (griechischen) Anfängen versucht zu überbieten und auszubooten. Sie hat ein philosophisches Heilsversprechen ausgegeben, das besagt: Lernen/Leben ohne Leiden ist das eigentliche Lernen, - und das eigentliche Leben ist ohne Leiden. Und wer dem Club der PhilosophInnen beitritt hat schon eine Anleihe auf das leidlose Paradies gezogen.

Wer die Einsicht der Tragödien in die Natur menschlicher Konflikte nicht abwehren will, hängt am Leidfaden, - und argumentiert implizit anti-philosophisch.
Wer das rationalistische Heilsversprechen eines Leitfadens aufrechterhalten will, dem/der wird das Enthärten des `t´ zum `d´ aufstoßen. Hoffentlich. Osteopathie als Heilslehre sucht und findet in einer von allen orts-, zeit-, kult- und weiteren Umstandsbestimmungen unabhängig sich wähnenden Philosophie einen willigen Resonanzboden. Wie läßt sich der Glauben an diesen roten Faden durch das Labyrinth der Konflikte begründen? Das Rot des (Ariadne-) Fadens kommt vom Opferblut; woher das Versprechen sich an dieser Richt- und Leitschnurr festhalten zu können ohne blutige Finger zu bekommen, und ohne sich in weiter Konflikte zu verstricken? Osteopathie als Heilslehre im Bunde mit rationalisierender Philosophie und Psychologie: diese Kombination ließ die Oppenauerschen Warnlampen aufleuchten. Daß hier Mißtrauen angesagt ist wollte sie uns beibringen.

Der Leidfaden gibt erstmals eine umfassende Beschreibung der Obsession, -oder ohne vorzeitige Wertung- , der Passionen des psychosophischen Elementarismus. Er hilft das Problem und seine Epidemologie zu erkennen. Und er bietet sprachliche Regelungen an, zum Beispiel das Vollbild der Passion als psycho-sophischer Elementarismus zu bezeichnen, i.e. das Leiden an der Begeisterung und Anziehung für elementare Psychologie und Philosophie.

Noch bevor eine Ätiologie des Syndromes möglich ist, sollten die Erscheinungsformen des psychosophischen Elementarismus Aufmerksamkeit finden. Die typisch-osteopathische Ausgangslage, das normale Alltagsbewußtsein der OsteopathInnen soll hervortreten und gekennzeichnet werden. Frühe Warnzeichen werden aufgrund mangelnder Diagnostik übersehen. Die Krankheit entwickelt sich in einem geschützten Umfeld und wird erst spät in voller Blüte entdeckt.

Aufgrund des pädagogischen Anliegens von Käthe Oppenauer könnte der Text ein Selbstversuch für jene OsteopathInnen sein, die der Sucht des philosophischen und psychologischen Tieferlegens der Elemente ungeschützt verfallen sind.
Er kann aber keine Heilung dieser Sucht anbieten. Noch ist das Phänomen selbst nicht erforscht. Zu viele Fragen sind nicht einmal gestellt: Läßt sich diese Passion, diese fatale Attraktion kurieren? Ist es ein Leiden, dem Einsicht vergesellschaftet werden kann? Trägt Krankheitseinsicht zur Kur bei? Oder handelt es sich bei dieser Passion um ein ursprüngliches Glück, das gar nicht daran denkt kuriert zu werden?

Ohne dem Text vorzugreifen wird für jene wenigen Glücklichen, die nicht spontan von dieser Krankheit wissen, weil Sie selbst keinen Episoden ausgesetzt waren, in groben Züge ihr Erscheinungsbild beschrieben.
Der `psychosophische Elementarismus´ der OsteopathInnen ist durch folgenden Symptom- bzw Mentalitätskomplex gekennzeichnet: Psychologie und Philosophie sind die geheimen Grundlagenwissenschaften der Osteopathie; daß Osteopathie aus Anatomie, Anatomie und etwas Physiologie und wieder den beiden besteht, wird gepredigt und wiederholt zum richtigen Anlaß, kann aber nicht die tiefere Einsicht verdrängen, daß die Langzeit- und Tiefenwirkung psychosophischer Weisheit das Bloß-Gewebliche in den Schatten stellt. Obwohl wir uns leidlich mit dem Gewebe und seinen physiologischen Gesetzen angefreundet haben, elementare Klarheit tritt erst über das Psychosophische in die Osteopathie ein.

Daher ist die große Passion der OsteopathInnen bei der angewandten Philosophie und der Psychologie angesiedelt. Die Verve mit der argumentiert wird ist umgekehrt proportional zur Kenntnis der Gegenstände und zur selbstkritischen Distanz der eigenen Position gegenüber. Mit philosophischer und psychologischer Materie läßt sich leichtens verfahren. Kant hat dieses Stadium der glückliche Naivität ironisch beschreiben: eine von jeder Kenntnis ungetrübte Meinung. So es sich lohnt diese Naivität und Leichtfertigkeit zu bewahren, haben wir bisher auch kaum osteopathische KollegInnen an die psychologischen und philosophischen Fakultäten verloren.

Die hemmungslose Begeisterung für Philososphisches mag all jene erstaunen, die einmal einen Fuß in ein philosophisches Seminar gesetzt haben. Allein die Aura der Philosophie scheint unter OsteopathInnen ein Qualitätsmerkmal. Dass jede Äußerung, weil sie nachklingenden Worte verwendet schon mit philosophischen Weihen ausgezeichnet ist, scheint auch nationale Gründe zu haben - eine typisch deutsche Krankheit also? Käthe Oppenauer hat eine Übersetzung ausgeschlossen. Die Gefahr der Unübersetzbarkeit in einen anderen national-kulturellen Zusammenhang erschien ihr zu groß. Die Fehleinschätzung des - als Quelle der Selbsterkenntnis nicht genug zu schätzenden und kreativ weiterzukultivierenden - unüberlegten Daherredens als philosophischer Tiefe ist nicht global. Zum Glück.

Philosophie ist, wie jede anderen Disziplin, Arbeit; nicht ehren- oder mehrwertiger. Das wird bei diesen Randgängen an der Grenze zum Geschwätz schlicht vergessen. Die Realisten unter den Osteopathen benützen daher Wendungen wie `darüber können Sie in der Kneipe philosophieren´. Obwohl wir dem alkoholischen Einfluß nicht Unrecht tun wollen; die meisten schaffen den schwarzen Gürtel des philosophischen Aphorismus schon bei sturz-voller Nüchternheit. Auch zeigt sich hier ein Geburtstrauma der Philosophie: hat sie doch versucht den dionysischen Wein-Rausch für sich in Anspruch zu nehmen und zugleich das rebellische Aufbrechen der Verhältnisse in der Ekstase zu domestizieren. Wein ja, aber der Rausch muß staatstragend sein - so der Prototyp des Philosophen, Platon. Auf heutige Verhältnisse übersetzt: sie können ruhig trunken philosophieren, die finanzielle und inhaltliche Verrechung erfolgt über ihre American Express Card.

Wenn es fraglich ist warum Philosophie einen osteopathischen Ehrentitel ausstellt, - welchen Loorbeerkranz bietet die Psychologie? Läßt sich mit ihr im selben, verharmlosenden Auf- oder Abwasch verfahren? Durchaus: Zwar gibt es erfahrene Leute (Bion), die meinen, die psychische Realität anderer Menschen ist recht schwer zu erfahren. OsteopathInnen trübt das nicht, sie tappern los über die psychischen Landschaften....oder waren es psychologische Landschaften? Was war nochmals der Unterschied?

Dieser hier nur grob und herzlos beschriebene Zustand ist beklagenswert. Kontrovers sind die Ansichten über die Heilungschancen. Grundlegendere Fragen bezüglich Progredienz und therapeutischer Strategie sind noch zu beantworten.
Das Argument, daß der Zustand des Patienten zu fortgeschritten ist, um mit wohlmeinender Pädagogik und aufklärerischer Intention etwas zu erreichen, war auch von der Autorin schwerlich aus der Welt zu schaffen. Da keine Krankheitseinsicht besteht ist Aufklärung über die Folgen ohne Wirkung. Wohlige Ignoranz läßt sich nicht eines Besseren belehren. Die Forderung, daß die Therapie frontal, konfrontativ, und in hoher Dosis das Problem verstärkend sein müßte, hat Käthe Oppenauer in ihrer, durch mehr Lebenserfahrung und Geduld gereiften pädagogische Haltung, mit einem Lächen zerstäubt. Zugleich hat sie unter dem Eindruck der Symptom-Fülle, zu unserer Freude, einen polemsichen Unterton in ihren Texten bewahrt.

Die einzelnen Textbausteine sind ohne Veränderung aus den Manuskripten Käthe Oppenauers übernommen. Der Aufbau des Buches war mit ihr abgesprochen. Die Wochen vor Ihrem Tod hatten wir vereinbart den Text zu veröffentlichen. Sie selbst wollte sich den Diskussionen nicht mehr aussetzen und fand, daß unsere Streitbarkeit und ihr pädagogisches Interesse ein Gleichgewicht bildeten. Ihr Interesse an der inhaltlichen Diskussion war durch Polemik (auch unsere) nicht zu bremsen. Sie bat uns ihren Text nicht zu verändern und unseren Ton nur im Vorwort anzuschlagen. Ein Haltung, die der Weite ihres Geistes entsprach. Sie war in der Philosophie und Psychoanlyse zu Hause, obschon die beiden sich spinnefeind sein können. Und sie war Osteopathin mit Haut-Haar-Herz-und-Verstand. Intellektuelle Redlichkeit war für sie die fortwährende Auseinandersetzung mit den jeweiligen Wissenschaften und ihren Gegenständen. Das billige sich-andienen und Lorbeer sammeln bei anderen Wissenschaften war ihr fremd. Ebenso fremd die unkritisch-eklektizitischen Nehmer-Mentalität: Herauspicken was einem gefällt und ins Konzept paßt, ohne der herangezogenen Disziplin das Minimum an Respekt in Form von ernsthafter Beschäftigung (also Arbeit) mit ihren internen Diskussionen entgegenzubringen.

Die Passion des psychosophischen Elementarismus gilt nicht der Philosophie oder der Psychologie, sie gilt der möglichst widerstandslosen Bedienung eigener projektiver und identifikatorischer Interessen und der konfliktfreien Lösung kaum gestellter Fragen. Dieser Mentalität eine Diskussion der Fragen und Antworten gegenüberzustellen, war das pädagogisches Anliegen der Arbeiten von Käthe Oppenauer. Die erhoffte Spitze ihrer Texte ist hier Widerstand zu bieten und empfindliche Nadelstiche zu setzen. Zugleich war sie nur zu gerne bereit anzuerkennnen, daß nicht alle diese Fragen interesieren müssen, daß es nicht zum täglichen, osteopathischen Handwerkszeug gehört sich diesbezüglich zu äußern. Ob wir gute OsteopathInnen sind hängt zum Glück nicht daran. Umgekehrt ist es leider nicht wahr: auch gute OsteopathInnen sind nicht immun gegen die hier beschriebene Plage. Und da die vielfältigen Verzweigungen der Krankheit noch unbekannt sind, sollte wir nicht vorzeitig Entwarnung signalisieren: eine verkorkste Psychosophie vermag möglicherweise den genetischen Kern des osteopathischen Handels treffen.

Den Text zu lesen ist peinlich, weil er versucht das Bedürfnis nach Differenzierung, Selbstkritik und Aufklärung der eigenen Position zu wecken. Er versucht - wie peinvoll es auch sein mag - das Ärgernis zu ertragen und ihm etwas entgegen zu setzen. Er setzt sich dabei selbst dem Argument aus, daß alles was gesagt wird schon tausendmal und viel besser schon gesagt wurde. Obwohl vielleicht das eintausendundeinmalte nötig wäre und möglicherweise den entscheidenden Unterscheid macht: Es gilt nicht die Unschuld der Unkenntniss zu akzeptieren. Wer es besser wissen müßte, bzw wissen müßte, daß er/sie es nicht besser weiß, bekommt keine mildernden Umstände zugesprochen. Aber Strafmaß und pädagogische Hoffnung stehen einander entgegen. Der Optimismus der Pädagogin ist durch Argumente nicht wegzukriegen, - mit Recht wie wir denken, ohne ihren Optimismus zu teilen.

Entgegen aller eigenen Einsicht, an die Einsichtsfähigkeit der glücklichen Ignoranz zu glauben, das ist bewundernswert. Aber was wird der Effekt der Oppenauerschen Bemühungen sein? Vergleichbar dem Versuch die deutsche Sozialdemokratie davon zu überzeugen, daß es nicht den guten und schlechten Kapitalismus gibt, dass dieser selbst das Übel darstellt , das es zu überwinden gilt, - eine Wahrheit die nur um den Preis der Selbstaufgabe anzunehmen ist? Sind die von der Plage betroffenen bereit ihre Gründungsannahmen zu überdenken? Davon wird die Resonanz des Textes abhängen; persönlich würden wir nichts auf das Bedürfnis nach reflexiver Selbstaufklärung verwetten. Dennoch ist keine Mühe zu groß, den Oppenaurschen Text zu veröffentlichen. Er ist die Chance die nicht alle schweren Krankheiten haben.

Die großen Themen der Osteopathie bekommen unvermeidlich ihr Fett ab: Ganzheitlichkeit, Funktion-Struktur-Funktion, Selbstheilung. Obschon diese Prinzipien auf allen osteopathischen Banner zu finden, ist de kritische Reflexion darüber in einem ärmlichen Zustand. So lassen sich, ganz dem Ganzheitlichen verschriebene, OsteopathInnen ohne Zeichen der Schamesröte von Sätzen wie `eins plus eins plus eins ist dreiunddreißig wenn nicht gerade einhundertelf´ beeindrucken, obwohl die Grundaussage jedes am Zusammenwirken der Einzelteile orientierten Ganzheitskonzept die Behauptung hervorbringt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner/ihrer Teile ist. Eine Idee, die seit der antiken Medizin diskutiert wird und die das einfache osteopathische Gemüt für revolutionär hält und ständig als ganzheitlich-osteopathische Frühstücksweisheit wiederholt.

Auch dass OsteopathInnen das alte Spiel der Übersetzungen `funktion schafft struktur und struktur schafft funktion, die wiederum strukturiert wird in funktion, die als struktur funktioniert...´ weiterspeilen dürfen bis niemand mehr weiß was damit eigentlich gesagt werden will, aber auch nicht wagt zu fragen. Das ist Anlaß zu einem kinesiologisch nicht mehr zu deutenden und neurolinguistisch nicht mehr zu programierenden Augenverdrehen im entgegen-versetzten doppelten Uhrzeiger-unsinn. Hier mit Fett zu sparen wäre nicht angebracht.

Die ernsthafteste und zugleich fragwürdigste Intention des Leidfadens besteht in dem Versuch OsteopathInnen mit allen Mitteln der Kritik vor sich selbst zu bewahren. Rettende Kritik, die mit aller Schärfe das ausdrückt was ist (Aktualität), gegenüber dem was vorgibt zu sein, wie es sich gerne sieht (phantastische Selbst-projektion). Projektion ist nicht mit Imagination und Möglichkeit (Potentialität) zu verwechseln. Das versucht der Text in leider noch viel zu vorsichtiger Manier deutlich zu machen, indem er eine Welt zum erscheinen bringt, die jenseits von mutwilliger Selbststilisierung liegt. Ein mutiger Versuch einer reflektierende, engagierten Praktikerin. Psycho- und mentalitätslogisch gesehen ein riskanter Versuch: sich mit Argumenten gegen etwas stemmen das nicht aus Argumenten lebt.

Gegen die projektive Selbstverwechslung des `guten´ Menschen mit seinen guten Intentionen ist kein Kraut gewachsen. Notfalls - wenn der/die Gute sich wehrt - muß er/sie selbst kritisiert werden. Historisch gesehen stehen wir damit an den Anfängen der Osteopathie Ende des 19. Jahrhunderts: vor der Kritik Nietzsches und Freuds. Immerhin nur 100 Jahre hinten dran, aber inhaltlich diese Kritik aufzunehmen ist nicht in Jahren aufzuwiegen.

Der Leifaden versucht ein Bedürfniss und ein Selbstbild durch Kritik zur Krise zu bringen. Das ist ein altes, ehrenwertes Unterfangen jeder kritischen Philosophie, das leider nicht oft mit Erfolg gekrönt ist. Hier können wir dem Text nur viel Glück und eine möglichst widerständige Aufnahme wünschen. (Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Berufsverband.)

Läßts sich die fatale Attraktion, die Passion kurieren? Diese Frage ist noch nicht beantwortet und auch der Text wird immer wieder darum kreisen. . Erst wer dem Leidfaden nachgegangen ist, kann dies Frage für sich beantworten. Das liegt mit am Vorgehen der Autorin: zuerst wird die Dysfunktion verstärkt um dann in und durch die Krise den Ausweg zu finden...oder eben nicht. Aber das indirekte Behandlungsprinzip ist Methode und zugleich mehr.
In die Dysfunktion, diese verstärken, sich den Kräften überlassen die sie hervorrufen. So kann die Methode darin bestehen die Vereinfachung und Gutgläubigkeit zu verschärfen, die philosophischen und psychologischen Einsichten noch naiver, noch tiefsinniger und überzeitlicher zu formulieren.

Wird die Krankheit bis zur Unerträglichkeit gesteigert, muß unter Androhung des physischen und psychischen Zerfalls die Krise in eine Katarsis überführt werden. Diese Klimax von krisenhafter Zuspitzung und erhoffter Er-Lösung in Katharsis, durchzieht als Thema, nicht als sichere Methode, den Text. Sie ist die aufklärerische Hoffung der antiken Dramen wie die Heilungshoffnung der homöopathischen Medizin. Sie läßt sich üben im Aikido, das die Kraft des Gegners nutzt um diesen zu besiegen. Sie läßt sich bei Hegel und Marx verfeinern, die im dialektischen Denken eine Weg sahen sich mit der Stärke des Gegenarguments zu verbinden um dieses zu überwinden.

Nichtsdestotrotz ist nicht garantiert daß die Katastrophe ein Lösung bringt: nichts versichert gegen das Scheitern. So wird die erlösende Krise nicht als All-Heilmittel angeboten, sondern zur Arbeit an diesem Versatzstück eines therapeutischen Selbstverständnis aufgerufen. Die Hoffnungen der Leidenden auf heilende Intervention können nicht mit billigen therapeutischen Sprüchen über inhärente Selbstheilungskräfte abgetan werden.
Wo die Gefahr am größten ist wächst das Rettende auch, sagt einer der nicht zum nächsten Heil-Kraut greift, Hölderlin. Gesellschaftliche Erfahrung und existenzielle Hoffnung scheinen sich hier ausdrücken. Unser Aussenmisnister zum Konflikt zwischen Israelis und den Palästinensern: „ Die Gefährlichkeit der Krise....wird ihre Lösung erzwingen oder eskalieren“. Für einen Politiker (angetreten in den Gang der Dinge gestaltend einzugreifen) ein erstaunlicher Satz.

Die pädagogische List Käthe Oppenauers ist hier durchsichtig gemacht: eine Denkweise aus der Osteopathie zu nehmen, diese neben psychologische und philosophische Standards zu plazieren, ....und schauen was passiert. Gibt es Widerstände, einen Point of Balance, lössen sich Spannung, entsteht Dynamik? Der Ausgang eines solchen Vorgehens ist ungewiss: entsteht erweitertes Bewußtseins oder erweiterte Ignoranz bzw fundiertere Pathologie.

So wird nichts daran vorbei führen die entscheidende Frage zu stellen: Wo sind die Quellen der Krankheit? Wie entsteht sie und warum leidet sie nicht an sich selbst. Das heißt noch nicht einem aufklärerischen Optimismus anheim zu fallen, aber eine radikale, auf die Wurzel (die Radix) des Leidens gerichtete Reflexion beginnen. Wer weiß, vielleicht finde sich die heilende radix, das rettende Aspirin.
Der Wieder-Finder der fiebersenkenden Wirkung der Salicylsäure wurde von der verbreiteten Idee geleitet: wo die Krankheit entsteht, dort ist auch die Kur zu finden. Da für ihn (Edward Stone) das Leiden (Wechselfieber) in den feuchten Lagen (im Sumpf) seine Ursache hatte, suchte er in den dort befindlichen und gedeihenden Bäumen die Kur und fand sie, wie schon Hippokrates empfahl, in der Rinde der Silberweide (salix alba).
Wo ist der Sumpf der fatalen Attraktion der OsteopathInnen, wie gedenken wie ihn zu finden? Die indirekte Methode ist eine Möglichkeit, die Käthe Oppenauer anwandte. Daneben wird sie völlig unvermittelt eine ganz andere Welt behauptene, einen Thrust in die Gegenrichtung gegeben, rigeros auf die Weite der Reflexion und die Komplexität der Phänomene bestehen. Da hilft dann keine pädagogische Vermittlung mehr. Mensch muß sich mit dem auseinandersetzen was da ist, sei es noch so komplex und Widerstände hervorrufend. Kein Kneifen erlaubt.

So kommen in großer Zahl Anti-PädagogInnen zu Wort. Diese haben den Vorzug, daß sie einem die Weisheit nicht mit Löffeln füttern wollen, sondern auf die Autonomie des Erkenntnisaktes bestehen.
Freiheit und Mut zur Reflexion ist nicht nur ein Frage der Pädagogik, - wer den Geschmack und Duft der Freiheit nicht in Mund und Nase er/trägt, wird mit den besten Argumenten und Verkaufsstrategien niemals diesen für sich in Anspruch nehmen. Wer nicht denken will, muß fühlen; das ist zwar für OsteopathInnen keine Drohung, weshalb schon Sutherland ins osteopathische Poesiealbum schrieb: No tinker, but thinker...so soll es sein.

Das ist die Grenze der Pädagogik: das Bedürfnis selbst zu denken kann niemensch beigebracht werden; so hat jener Philosoph, der meinte, wir müßten das Wünschen lernen, eben keine Schule des Wünschens gegründet, er hat niemandem beigebracht, wie das zu lernen ist und was zu wünschen ist. Er wurde statt dessen zum unablässigen Kritiker des wunschlosen Unglücks wie des wunschlahmen Glücks. Aber Kritik ist ein schwächliche, orientierungslose Pflanze im Arsenal des psychosophoischen Elementarismus. Sie bräuchte Sonne und müßte besser kultiviert werden.

Zwei umstrittene, methodische Annäherungen verbindet die Autorin: die über-disziplinäre Erweiterung des Feldes und die polemische Zuspitzung, die alles auf einen peinlichen Punkt bringt; gemeinsam sind sie produktiv.
Die polemische Zuspitzung verstärkt indirekt die fatale Tendenz nach Tieferlegen und Entspezifizieren der Inhalte. Sie vergißt die Einsicht daß alles an der Oberfläche sichtbar ist. Deshalb braucht sie daneben ein Vorgehen, das die Verbreiterung der Oberfläche erlaubt, die Aufdehnung des Feldes, die gerne mehrdimensional sein kann, aber keine spezifische Betonung der Tiefendimension enthält. Das Nebeneinander in dieser Weite der Reflexion, die Gleichzeitigkeit (simultané) der ungleichen Themen und Gegenstände ist natürlich künstlich. Gerade wegen ihrer natürlichen Künstlichkeit erlauben sie ein reflektierendes (im Sinne der Optik) hin und herspringen der Licht-Blicke.

Im Verlauf dieser Beschreibung des methodischen Vorgehens der Autorin ist es gelungen einen von ihr geschätzten reflektierenden Praktiker des therapeutischen Dialogs mehrmals implizit zu zitieren. Seine Identität wird später im Text enthüllt. Ein Such-Hinweis: er hat geschrieben, daß Psyche ausgedehnt ist, aber nichts davon weiß. Kein Pädagoge und auch kein Polemiker also, und kein Philosoph, das ist klar. Ent-Spezifizierung hat er als Abwehrstrategie gegen unliebsame Inhalte beschrieben. Also wird er auftretten als Mitstreiter gegen das Heilsversprechen des psychosopischen Elementarismus.

Warum diese doppelte Anspielung und Verbergung? Weil Käthe Oppenauer immer wieder so vorgegangen ist. Sie streut Zitate und Überlegungen ein, ohne ihre Herkunft zu kennzeichnen. So kommen Leute zu Wort deren Namen schon Vorurteile wecken. Orginalität hätte sie sowieso nicht interesiert oder gar beansprucht, - selbst dort wo sie vorlag.

Zur Präsentation des Textes nur so viel: Wir haben Käthes verstreute Notizen und ausgearbeiteten Texte geordnet und in einem erzählerisch-ätiologischen Schema angeordnet. Die Überschriften sind von uns gewählt, mit ihrer Zustimmung. Das letzte Kapitel versammelt ihre Versuche einen neuen Weg zu gehen. Wir stellen dort ihre Überlegungen zu einer osteopathischen Elementenlehre zusammen. Es wird, soweit die Durchsicht ihrer Aufzeichnungen neues Material ergibt, ergänzt. Käthe war der Überzeugung, daß wir die vitalistischen Ursprünge und Annahmen der Osteopathie einer sowohl historischen wie systematischen Kritik unterziehen müssen. So verstand sie ihre Beschäftigung mit der Substanzlehre der antiken Medizin und ihr fortwirkenden Einfluß als ersten Schritt auf dem Weg zu einer osteopathischen Elementenlehre. Verbunden war die Hoffnung dem Elementarismus ein Stück reflektierte Realität zu entreissen. Systementwürfe entsprachen nicht ihrem intellektuellen Temperament, und nicht ihrer Einschätzung des Standes der osteopathischen Wissenschaft. Wir hoffen durch die offenen Zusammenstellung der Textfragmente ihrem aufrührerischen Geist und weittragendem wie reichendem Herzen gerecht zu werden. Wir vermissen sie sehr und hoffen, daß, wo sie sich auch rumtreibt, ein Netzanschluß mit Hypertext ins whatever-world.wide.web besteht.

Berlin, am 8. Mai 2002,
jenem Tag der Befreiung, den Käthe 57 mal glücklich gefeiert hat. Wie gerne hätten wir sie dieses Jahr wieder bei uns gehabt.

Dr. Doreen Dipp-Lomost
Victor Canzorro D.O.

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